Ricola

Eigenwillig sieht es aus. Scharfe Kanten, dunkelbraun, wie ein Klumpen Bernstein. Es machte eine Weltkarriere. Nur ein Bonbon. Aber immerhin das wohl berühmteste. Ricola Schweizer Kräuterzucker. Rii-co-laa.

Gegen Ende der Achtziger verblasste sein Ruhm ein wenig. Lag es in Wohnzimmerschränken, in den gelben Dosen, in den die Bonbons nach einer Zeit zu einem schwarzen Brocken zusammenwuchsen. Das änderte sich 1999, als erstmal jene Fernsehwerbung lief.

Ein kleiner Mann rennt darin auf drei halbnackte Finnen zu, die nach der Sauna an einem Ricola lutschen und dessen wohltuende Wirkung als finnische Erfindung priesen. Der kleine Mann zupfte an deren umgehängten Handtüchern und fragte, drohend und mit Schweizer Akzent: „Wer hat’s erfunden?“ Die Schweizer. „Wer genau?“. Die von Ricola.

Der Spot, damals produziert von der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt, schlug ein wie eine Bombe. „Wer hat’s erfunden?“ wurde gar zum allgemeinen Sprachgebrauch. Und Ricola wuchs fortan wieder mit Wachstumsraten von über zehn Prozent. Im Jahr 2008 erwirtschaftete man mit 420 Mitarbeitern einen Umsatz von 305 Millionen Schweizer Franken. Seit langem ist Unternehmen Weltmarktführer in seinem Bereich, Hustenbonbons.

Bei Ricola aber bleibt man bescheiden. Scheu fast. Seinen Sitz hat das Unternehmen seit je in 4242 Laufen, Kanton Baselland, 25 Kilometer südlich der Pharmastadt Basel. Ein verschlafenes Städtchen mit 5'000 Einwohnern. Es gibt in Laufen eine kopfsteingepflasterte Altstadt, das „Stedtli“, in dem einst ein Emil Richterich eine Confiserie betrieb, Laufen Keramik, einen bekannten Hersteller von Klos und Waschbecken, vor allem aber Ricola, der Kurzform des ursprünglichen Firmennamens Richterich & Co. Laufen.

Kein Hinweisschild deutet hin auf das Unternehmen mit dem berühmten Produkt. Der unscheinbare Hauptsitz an der Durchgangsstraße Laufens ist leicht zu übersehen. Ein einstöckiges, angegilbtes Gebäude, bezogen 1950 von Emil Richterich, nachdem der die Confiserie aufgegeben hatte und sich ganz auf die Herstellung von Hustenbonbons spezialisierte. Am Eingang ein schmales Schild mit geschwungenem Ricola-Schriftzug. Wo nun Felix Richterich in Empfang nimmt, 50 Jahre alt, von solider Statur, dunkelgrauer Anzug, randlose Brille, Eigentümer in dritter Generation, mit dem klingenden Titel des Verwaltungsratspräsidenten.Richterich führt hinauf in den Konferenzraum, bittet an einen Glastisch. An den Wänden des Raumes, der früher das Wohnzimmer seines Großvaters war, alte Regale, „Kräuterkunde des Paracelsus“, „Schweizerisches Kräuterlexikon.“ In einer Schale auf dem Tisch Tradition neben Moderne. Ricola Kräuterzucker, der Dauerbrenner, das Rezept erfunden 1940 und bis heute milliardenfach verkauft, neben Ricola Gum Alpin Fresh. Kaugummis. Das neueste Produkt, seit Ende 2008 als Probe auf dem Schweizer Markt, der Ricolas Testgelände ist.

„Seit langem sind wir dabei, unser Sortiment zu erweitern,“ sagt Richterich, nimmt die Schachtel mit den Kaugummis in die Hand. „Man kann sich nicht allein auf Vergangenheit und Tradition ausruhen.“ Über dreißig Produkte bietet Ricola an mittlerweile. Bonbons, Kaugummis, Tees, Pastillen. Trotzdem wolle man nicht beliebig werden. Auch bei den Verpackungen setzt man eher auf moderaten Wandel. Noch immer sehen sie medizinisch aus, wenn auch Felix Richterich in seiner Zeit das „Böxli“ einführte, eine praktische, moderne Schachtel mit kleinerem Inhalt, das man vor allem in Tankstellen oder im Lebensmitteleinzelhandel benutzt. Und das zu einer Art Verpackungsstandard in der ganzen Süßwarenindustrie wurde. Mehr aber möchte man nicht abweichen vom alt gewohnten Erscheinungsbild.“Wenn Sie eine Marke zu sehr modernisieren, dann ist sie schnell weg vom Fenster,“ sagt Richterich, der das Unternehmen seit 1991 führt. Seit er zurückkam aus Amerika. Sein Vater Hans-Peter, zweite Generation, schickte ihn dorthin, 1986, nach dem Studium. Weil der Vater nicht gern reiste und kein Englisch sprach. Deswegen solle der Sohn „mal Amerika“ machen. Ein kleiner Markt sei das und er könne nicht viel falsch machen, falls es nicht klappe. In wenigen Jahren aber verwandelte Felix Richterich den Nischenmarkt USA in den viertgrößten Ricolas. Nach Deutschland, Frankreich und der Schweiz. „Das war mein Gesellenstück,“ sagt dazu Felix Richterich.Was schon immer den Erfolg der Firma ausmacht, die seit der Gründung 1930 nicht ein einziges Jahr erlebte, in dem sie keine schwarze Zahlen schrieb, was sie durch die Jahrzehnte führte wie ein Geländer, an dem man sich festhalten konnte, das sind die Kräuter. Nicht irgendwelche. Sondern genau dreizehn. So lautete schon Werbung aus den Sechzigern: „13 Kräuter aus der Schweiz befreien Dich vom Hustenreiz.“ Salbei, Holunder, Pfefferminz sind darunter. Aber auch solche, die Namen haben wie Ehrenpreis oder Frauenmantel. Daraus gewinnt man jenen fast magischen Extrakt, der im Kräuterzucker genauso enthalten ist wie in jedem anderen Produkt von Ricola. Der ihnen etwas Unverwechselbares verleiht. „Ohne die Kräuter wären wir gar nichts,“ spricht Richterich in den Besprechungsraum. Und die werden ausschließlich geliefert von Schweizer Bergbauern. Was den werbewirksamen Nebeneffekt hat, dass man der Kundschaft damit immer auch ein Stück heile Schweizer Bergwelt mitliefert. Auch wenn das zuweilen ein wenig altmodisch anmutet. Ricola aber ist das nicht unrecht. „Wir sehen uns sowieso nicht als In-Produkt,“ sagt Richterich, „wir sind kein Red Bull.“

Über 300 Tonnen Kräuter verarbeitete Ricola für die 250 Millionen Packungseinheiten, die letztes Jahr die hochmoderne Abfüllanlage fünfhundert Meter weiter ortsauswärts verließen, um den weltweiten Bedarf zu decken. 300 Tonnen Kräuter hören sich nicht viel an, geben aber über 200 Bauern aus dem Wallis, Berner Oberland oder dem Tessin Arbeit und eine Lebensgrundlage. Allerdings nur jenen, die dauerhaft Ricolas hohen Qualitätsansprüchen genügen. Geerntet darf nur, wenn das Kraut in einem „Sicherheitsabstand“ zur nächsten Straße steht, wenn es möglichst frei ist von Fremdkörpern. Und, vor allem, wenn keinerlei Unkrautvernichtungsmittel eingesetzt werden. Das verlangte man schon vor Jahrzehnten. „Eigentlich waren wir ein Bio-Pionier.“ Sagt Richterich, der, wie er auch sagt, sich die Frage nach Alternativen zu Ricola in seinem Leben nie gestellt hat, seit er mit 26 ins Unternehmen eintrat. Damals, nach dem Studium der Wirtschaft in Basel und zwei Jahren Praktika in den USA entschied er sich, „ohne Druck des Vaters“, für Ricola. Weil dort, „im Vergleich zu einer Bank beispielsweise“, etwas produziert wird. Etwas zum anfassen. Und das Geschäft mehr ist als eine anonyme Größe wie Geld.

Damit entschied er sich auch für die mit Abstand bekannteste Firma der Eidgenossenschaft. Weder Victorinox, die das Schweizer Taschenmesser herstellen noch die Großbank UBS können da mithalten. Selbst Nestle hat als Name nicht solch einen Bekanntheitsgrad wie Ricola. Was das Unternehmen sehr teuer machen würde für Konzerne wie eben beispielsweise Nestle. Solche Überlegungen aber kommen bei Ricola gar nicht vor. Erstens hat Felix Richterich mit 50 Jahren noch viel Zeit bis zu seinem Ausscheiden und zweitens hat er zwei Kinder, viele Neffen und Nichten, „von denen irgendjemand das Unternehmen bestimmt weiterführen wird.“

Der in einigen Jahren wahrscheinlich eine noch immer gesunde Firma vorfinden wird, die in ihrer Geschichte bislang nur zwei größere Probleme hatte. Beide löste sie. In den Sechzigern und Siebzigern war es das Problem, dass das Geschäft recht starken Schwankungen unterlag. Große Umsätze im Winter. Geringe im Sommer. Weil Ricola ausschließlich als Hustenbonbon wahrgenommen wurde. Das im Sommer eben nicht lief. Da wollten die Leute erfrischt werden. Dann kam 1980 Richterichs Vater auf die Idee, Bonbons mit Zitrusfrüchten herzustellen. Als Sommervariante. Das schlug ein. In den Neunzigern geriet Ricola in eine Imagekrise. „Unser Alpenklischee war irgendwie ausgelutscht,“ sagt Richterich und lächelt, weil ihm der Satz ungewollt doppelsinnig geraten ist. „Wir mussten dringend ein bisschen frecher und zeitgemäßer werden.“ Am schnellsten ließ sich das mit breit angelegter Fernsehwerbung bewirken. Man führte Diskussionen über verschiedene Konzepte. Am Ende wurde es jenes von Jung von Matt. Nach dessen häufiger Ausstrahlung das Imageproblem behoben war und die Wachstumsraten nach oben schnellten. Bis heute hat man zehn Neuauflagen davon produziert.

Einen Weltstar wie Robbie Williams mussten sie damit als Konsumenten aber nicht mehr gewinnen. Der hat seit Beginn seiner Karriere vor Auftritten immer einen festen Ablauf, Kokain mal nicht eingeschlossen: er isst Sushi, trinkt Diätcola und am Ende lutscht er Ricola Kräuterzucker. Und auch Madonna wird sehr ungehalten, liegen in ihrer Garderobe keine Bonbons aus Laufen, auch wenn sie vermutlich nicht mal weiß, dass Laufen in Europa liegt.

Aber das ist Ricola auch nicht wichtig. Hier ist sowieso das Produkt der Star. Man tut alles, damit es ihm gut geht. Der Rest ist Nebensache.