Didi Mateschitz

Ein paar Kilometer Luftlinie nur von hier begann es, 1984. In seiner Wohnung in der Alpenstrasse, nicht groß, nicht klein, mitten in Salzburg. Das zweite Leben des Dietrich Mateschitz.

Es hob ihn hinauf in luftige Höhen, als ob ihm Flügel gewachsen wären seit jenen frühen Achtzigern. Damals fuhr er in seinem Auto, heute fliegt er in einem seiner Flugzeuge. Damals war er Marketingdirektor des Zahnpastaherstellers Blendax, ein gut situierter Mann von 38 Jahren, heute ist er 63 und der reichste im ganzen Land, Österreich. Drei Milliarden Euro Privatvermögen.

Dietrich Mateschitz hat geschafft, was viele sich erträumen, die eine Idee haben, mit der sie es dann selbst versuchen. Seine Idee war: Red Bull. Die zog er durch, eisern, zäh und ausdauernd. Gegen alle Zweifler, die ihm und seinem neuen Unternehmen maximal ein halbes Jahr gaben, bis der Eintrag im Firmenregister wieder gestrichen würde. Es kam anders. Red Bull ist seit zwanzig Jahren auf dem Markt und seit zwanzig Jahren ist Red Bull Marktführer in seinem Bereich: Energydrinks. Aber vielmehr noch ist das Unternehmen zu einer Weltmarke geworden, die nur noch eine Liga entfernt ist von Coca-Cola

Man solle unten warten, im Erdgeschoss, und sich verköstigen lassen, Kaffee, Tee, was man möchte. Natürlich auch Red Bull. Drei Minuten später dann mit dem Lift zwei Stockwerke nach oben. „Cigars Lounge“ steht an der Tür, die Mateschitz’ persönliche Referentin nun öffnet. Die Tür hat keine Klinke, die man drücken kann. Hierher werden alle geführt, die zu ihm wollen. Ideengeber, Geschäftspartner, Bittsteller, Journalisten. Wenn er hier ist, zwei oder drei Tage die Woche, ist seine Zeit eng getaktet, ein Gespräch nach dem anderen, von morgens bis abends. Ähnlich Filmstars, die auf Promotion-Tour in ihr Hotelzimmer bitten.

Mateschitz steht am Fenster, groß, fast eins neunzig, die Hände in den Taschen seiner Jeans. Zwei ausladende Schritte, eine Hand schnellt hinaus, greift zu, gusseisern, „Mateschitz, Grüß Gott!“ Die Vokale ziehen sich lang in steirischem Dialekt: „Maateschiitz.“ Ein breites Lachen dazu, weiße Zähne, Blendax-Zähne. „Nehmen Sie Platz, bitte. Kommen’s direkt aus Deutschland hierher?“ Mateschitz, braungebrannt, offenes Hemd, schwarzes Lederband um den Hals, legt sein altes Nokiahandy neben die Kaffeetasse auf den Tisch. Er trinkt kein Red Bull während des Gesprächs - Ausnahmen bestätigen die Regel: Mateschitz trinkt zehn bis zwölf Dosen jeden Tag. Lässt er von sich verbreiten zumindest. Das Unternehmen verkaufte vier Milliarden Dosen im letzten Jahr, machte 2,5 Milliarden Euro Umsatz. Und doppelt so viele Dosen sollen es 2010 sein. Vitamine, Zucker, Koffein und Taurin, eine Substanz, die über das Blut direkt und fast ausschließlich in Muskeln, Herz und Hirn fließt. Diese Mischung, die laut Ernährungswissenschaftlern wirkt wie ein kleiner Mokka mit viel Zucker, steckt in jeder der Viertelliter-Dosen mit dem Firmenlogo darauf: zwei gegeneinander prallenden, roten Stieren. Aber das allein ist nicht, was den Erfolg brachte und bringt. Red Bull soll immer auch ein Stück Freiheit sein. Ein Spritzer Unabhängigkeit. Ein Schluck Siegermentalität. Und somit neben dem rein funktionalen Getränk, das müde Knochen und erlahmte Geister wieder erwecken soll, auch ein ideelles. Dem Sein noch Schein beimischen. Kurz: Marketing.

Wenige kennen sich darin so gut aus wie Dietrich Mateschitz, von alten Weggefährten und neuen Freunden „Didi“ genannt. Von anderen ehrfürchtiger „DM“. Sein Leitspruch von Beginn an: „Marketing ist alles.“

Mateschitz wischt mit der Hand durch die Luft. „Schauen Sie, das hier, wo wir jetzt sitzen. Das ist auch Marketing.“ Hangar 7 - so heißt, wo man jetzt sitzt. Ein gigantisches Bauwerk, dass Red Bull vor drei Jahren auf die grüne Wiese gleich neben der Startbahn des Salzburger Flughafens geknallt hat, groß wie ein Fußballfeld, optisch einem Flugzeugflügel nachempfunden. Mittlerweile pilgern aus dem ganzen Umland Tausende hierher jede Woche. Bestaunen unter gläsernem Dach, auf blank poliertem Boden, die Schätze der Marketingmaschine Red Bulls: Flugzeuge im Dutzend, alle startbereit, ausgemusterte Kampfjets zum Beispiel oder auch Titos alte Regierungsmaschine: ein riesiges, silbern glänzendes Ungetüm aus den Fünfzigern. Sie wirken mit dem Red Bull-Logo darauf ein wenig wie Spielzeug, aber im Maßstab 1:1. Dazu Hubschrauber, Formel-1-Rennwagen. Mit denen vor allem zündete Mateschitz die nächste Stufe der firmeninternen Globalisierung von Red Bull. Vor knapp drei Jahren übernahm man das sieche Jaguar-Team, holte sich mit David Coulthard einen prominenten Fahrer und platzierte fortan das Logo auch in der schönen, schnellen Welt der Formel 1. Seit diesem Jahr ist Mateschitz sogar der einzige, der jemals in der Geschichte der Rennsportserie zwei Teams besitzt. All das kostet viel Geld. „Aber Geld ist dazu da, dass man etwas damit macht,“ sagt Mateschitz und das sagt er nicht erst, seit er Milliardär ist. Deswegen auch mag er nicht gern ständig darauf angesprochen werden, was etwas kostet. „Ich wollte ja auch nie primär den Gewinn maximieren. Das kann doch kein Antrieb sein.“

Und tatsächlich: hört man sich um, gleichen sich die Stimmen über ihn. Ein Machertyp sei er. Einer mit Format, der zu dem steht, was er sagt und tut. Heinz Schaden, Salzburgs Bürgermeister seit acht Jahren, sagt, dass Mateschitz mit Red Bull viel bewirkt hat für die Stadt. „Schauen Sie, allein das er den Fußball- und Eishockeyclub übernommen hat und zur nationalen Meisterschaft geführt hat, ist doch eine Riesensache für uns.“ Und dabei bleibe er persönlich trotzdem im Hintergrund. Und Eckhard Witzigmann, Jahrhundertkoch und Patron im Hangar-7-eigenen Gourmetrestaurant „Ikarus“ bescheinigt ihm darüber hinaus einen großen Instinkt: „Der riecht einen Trend. Und wenn er etwas als richtig erkannt hat, dann zieht er es auch durch.“

So wie eben auch vor über zwanzig Jahren. Da wollte er eine Marke aufbauen. In Wien hatte er einst Welthandel studiert. „Zwei, drei Jahre länger als ich vielleicht hätte müssen.“ Außer in Sport fiel er auch in der Schule selten durch überragende Noten auf, seinen Eltern zum Trotz, die beide Lehrer waren im kleinen steirischen Örtchen St. Marein. Ihn muss etwas anfassen, dann klemmt er sich dahinter. Und Theorie war es nicht, auch wenn er alles zum Abschluss bringt, die Schule, das Studium. In den Siebzigern heuert er bei Jacobs Kaffee an, in der Marketingabteilung. Erkennt darin sein Talent: Einer Sache Leben einhauchen und um sie eine Aura aufbauen. Er wechselt zu Blendax und steigt auf zum Marketingdirektor. Aber er ist nicht zufrieden. Zu konventionell das alles. Menschen in Uniform – Anzug, Krawatte und in der Hand alle dieselbe Zeitung. „Ich hab mir gesagt: So als richtiger Steirer passt Du da nicht hinein.“ Dazu ein festes, fest gefahrenes Budget zur Verfügung, mit dem „man halt a bissl a Werbung machen kann.“ Und vielleicht ließ sich um Zahnpasta auch keine Aura bilden. Mateschitz beginnt nach seinem eigenen Weg zu suchen. Und findet ihn.

Im Auftrag von Blendax fliegt er Anfang der Achtziger regelmäßig von Deutschland nach Thailand. Jetlags gilt es zu überstehen. Aber da gab es ja dieses Getränk, das er und seine Kollegen ausgiebig an der Hotelbar konsumierten, um sich schnell zu regenerieren. Genauso wie sich auch thailändische LKW-Fahrer damit wach hielten. Es hieß „Krating Daeng“ (Roter Stier). Und irgendwann war Mateschitz nicht nur hellwach für seinen nächsten Geschäftstermin, sondern auch für die eigene Idee: Das könne doch auch was für Europa sein. Zum Aufputschen für gestresste Erwachsene und partywütige Jugendliche. 1984 kündigt er bei Blendax, räumt seine Wohnung in Salzburg für das erste Büro, zieht selbst ins Salzburger Hinterland und widmet sich fortan der Idee. Seine erste Erkenntnis ist ernüchternd, aber genauso eine Herausforderung: „Es gibt keinen Markt für Red Bull, aber wir werden ihn machen.“

Mateschitz, kein Freund des Zufalls, arbeitet besessen an der Ausarbeitung seiner Strategie. „Red Bull war ja kein Testballon, sondern von der Stunde null an durchgeplant.“ Drei Jahre lang zehrt er während der Planung von der halben Million Euro, die er sich aus seinem früheren Job angespart hat. Benennt Krating Daeng um in Red Bull - vielleicht schon mit einem kleinen Hintergedanken über Österreich hinaus. Lässt an der Rezeptur tüfteln, um sie bei den strengen Lebensmittelbehörden durch zu bekommen. Und bringt seinen ehemaligen Studienkollegen Johannes Kastner, Betreiber einer PR-Agentur, fast zum Wahnsinn. Es geht um den Werbespruch, den Mateschitz zu einem zentralen Pfeiler künftigen Erfolgs erklärt. Zwei Jahre lang prallen alle Vorschläge an Mateschitz ab. „Das ist es auch nicht,“ sagt er immer wieder. Dann der Anruf, nachts um zwei. Natürlich schläft Mateschitz noch nicht, er braucht nie mehr als vier Stunden Schlaf, „weil das nur Zeit kostet, die man bewusst erleben kann.“ Kastner sagt: „Ich hab’s.“ Mateschitz: „Lass hören.“ Kastner: „Red Bull verleiht Flügel.“ Ohne Zögern Mateschitz: „Na siehst Du. Danach haben wir doch immer gesucht.“ Kurz darauf läuft die Produktion an. Kein Halten mehr ab jetzt. Red Bull beginnt zu fliegen, mit Wachstumsraten zwischen 100 und 200 Prozent pro Jahr. Legendär auch die Idee Mateschitz’, Fernsehwerbung in Comic-Optik zu schalten. Zeitlos – reale Werbung aus den Achtzigern will heute keiner mehr sehen - und dazu noch billig in der Produktion.

Mateschitz lächelt den ersten kurzen Blick auf die Uhr einfach weg und fragt dann, fast entschuldigend: „Sie wollen no’ bissl mehr wissen, ge?“ Unhöflichkeit ist eines der wenigen Attribute, die man ihm nicht nachsagt. Wohl aber, dass er rastlos sei, wenn es um Red Bull geht und er nicht auf seinem Bauernhof im hundert Kilometer entfernten Zell am See bei seiner Haflingerzucht den Kontrast zum schnellen Leben sucht.

Ansonsten züchtet er vor allem Erfolge. Und Erfolgsmenschen sind selten lethargisch.   In den zwanzig Stunden, die er sich vom Tag nimmt, halte er es mit Oscar Wilde: „Langeweile ist die einzige Sünde, für die es keine Vergebung gibt.“

Er versündigt sich nicht und treibt voran. Zwar weiß er, wo er herkommt, das hindert ihn aber nicht daran, seinen und den Standpunkt seiner Firma ständig verändern zu wollen. Nach vorne, nach oben und immer in Richtung Nummer eins. Deswegen auch sponsert Red Bull seit jeher Menschen, die Sieger sind oder – noch wichtiger – Sieger werden wollen. Derzeit stehen rund 600 Sportler bei Red Bull unter Vertrag. „Handverlesen nach Persönlichkeit und Leistungsbereitschaft,“ sagt Mateschitz. Aus Extrem- oder Randsportarten kamen die anfangs vor allem. Klippenspringer, Fallschirmspringer, BMX-Fahrer. Wie ja auch Red Bull zu Beginn Nischenprodukt war und Mateschitz’ Diktum hieß: „Wir machen nicht das, was alle machen.“ Doch da weltweit mittlerweile rund 600 Millionen Menschen die süße Brause trinken, kann von einem Nischenprodukt keine Rede mehr sein. Und so landete Red Bull wohl zwangsläufig beim Fußball, obwohl doch Mateschitz einst verkündete, er wolle sich entmündigen lassen, sobald er sich in diesem Spiel für die Massen engagiere. „Aber die Zeit war reif, jetzt auch Fußball zu machen,“ sagt nun Mateschitz. Kurz nach seinem Engagement in der Formel-1 kaufte Red Bull deshalb auch den heimischen Fußballclub Austria Salzburg. Und zog damit zum ersten Mal hörbare Kritik auf sich. Erstens greift der Bonus des Underdogs bei einer Firma dieser Größe und mit diesen finanziellen Mittel nicht mehr und zweitens, vor allem, zeigte sich, das Mateschitz nicht zimperlich ist, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Er pumpte zwar 30 Millionen Euro in den maroden Club und holte mit Giovanni Trapattoni einen Trainer von Weltruf, um Salzburg schon mittelfristig in die europäische Spitze zu führen. Doch um Tradition kümmerte er sich nicht. Deswegen ja auch: „Fußball machen.“ Mateschitz verhehlt nicht: „Es war eine reine Marketingentscheidung.“ Und das Erreichen des Europacups wäre eben eine größere Werbeplattform als wenn man nur im nationalen Wettbewerb spiele. Die traditionellen Vereinsfarben Violett-Weiß tauschte man aus in Rot-Weiß. Vor den Tribünen des neu renovierten Stadions hüpfen Studenten in Stierkostümen. Stehplätze hat es keine mehr. Zahlreiche alte Austria-Fans erkannten den neuen Verein nicht wieder und traten aus. Mateschitz sagt dazu, dass es um die paar Bierdosen werfenden Fans nicht schade sei. Er kann auch hart sein. Und wenn mal etwas nicht so läuft, wie er es sich in hellen Farben ausgemalt hat, zeigt Red Bull auch mal ein Gesicht, das nicht unbedingt seinem strahlenden Image entspricht. Sagen seine Kritiker, die aber nicht namentlich erwähnt werden wollen. Zu groß, zu mächtig ist mittlerweile das Dosenimperium.

Im Unternehmen selbst erzählt man nur gutes über ihn. Roland Concin, langjähriger Produktionschef und also Herr über die Dosen, sagt, dass es Mateschitz noch immer persönlich zu schaffen mache, irgendjemanden zu entlassen. Dass er bis dahin demjenigen nicht nur eine zweite, sondern auch eine dritte Chance gebe. Und dass der Erfolg eines Unternehmens immer von einer Person abhinge, die es schafft, um sich selbst eine Aura aufzubauen. Mateschitz könne das, weil er begeistern könne und weil er zu dem stünde, was er sagt. Concin formuliert es so: „Ein Wort von ihm. Da fährt die Eisenbahn drüber und das hält.“

Der Mann mit dem stählernen Wort  bedankt sich nun herzlich für das Gespräch, springt auf und klatscht in die Hände. Dann lacht er sein breites Lachen und fragt die Assistentin: „Tina, was steht an als nächstes?“