Krinner

„Wissens, es ist leichter, wenn man mit weniger aufwachst und hernach wirds immer besser als wie umgekehrt.“ Sagt Klaus Krinner, hält die rechte Hand leicht schräg in die Luft. Spricht weiter. Mit leiser Stimme. „Und bei mir gings immer stetig aufwärts. Da darf i scho zfrieden sein.“ Krinner hat Millionen verdient in den letzten Jahrzehnten, seit er 1989 ein durchschlagendes Patent anmeldete.

Er bezeichnet sich selbst nicht als Unternehmer. Ist aber einer. Weil er immer etwas unternommen hat. Stillstand ihm fremd war. Probleme zu lösen sein Leben. Achtundsiebzig Jahre alt ist Klaus Krinner. Chef nach wie vor im Haus der Krinner GmbH, die er 1989 gründete, deren Firmengebäude dort steht, wo Krinner vor 78 Jahren auf dem Hof seines Vaters geboren wurde, gelegen einen Kilometer außerhalb von Straßkirchen, 3’307 Einwohner, tiefes Niederbayern, das Land hier so weit wie Krinners Niederbairisch breit. Die Hand hat er wieder eingeholt. Mit beiden hält er sich nun fest am kleinen Besprechungstisch seines kleinen Büros. Ein mittelgroßer Mann, noch immer drahtig, mit eiserner Disziplin, die ihn jeden Morgen um 5.30 Uhr aus dem Bett treibt, blaues Hemd unter Pullover, Jeans, bequeme Schuhe. „Wissens“, so beginnt er die meisten seiner Sätze, „eigentlich bin i ja vollkommen mittelmäßig.“ Nicht besser als alle andern. Nur vielleicht ein Macher. Das sei er schon immer gewesen. Das mache vielleicht auch ein bisschen seinen Erfolg aus. Wenn Klaus Krinner, das älteste von sieben Kindern, von etwas überzeugt ist, zögert er nicht lange.

So wie damals, an Heiligabend des Jahres 1988, als ihm, gerade 50 Jahre alt geworden, die Idee seines Lebens kam. Die Sache mit dem Christbaumständer. Wie immer feiert man im großen Kreis der Familie. Aber sein Vater will zum ersten Mal den Baum nicht mehr selbst aufstellen. Also macht sich Klaus Krinner ans Werk. Und stellt schnell fest: Des is a Glump. Nach über einer halben Stunde schließlich, Krinner ist schon gestresst und hat blutige Finger, steht der Baum. Und mit ihm sein Entschluss: das muss einfacher gehen und er will das machen.

„Mich wunderts immer noch“, sagt Krinner in sein Büro, „dass sich in 200 Jahren, wo schon Weihnachtsbäume aufgestellt werden, nie jemand Gedanken drüber gemacht hat, wie man das Problem lösen kann.“ Er lächelt. „Die gscheiten Leit denken ja immer nur über die komplizierten Dinge nach.“ Monatelang arbeitet es in Krinners Hirn. Entwickelt und verwirft er eine Idee nach der anderen. Und an einem Tag im September 1989, nach neun Monaten, also quasi wia bei einer Geburt (Krinner), morgens um sieben, als er, Landwirt noch zu dieser Zeit, gerade die Arbeit auf dem Feld einteilt, ist es soweit. „Da wusst i auf einmal, wia es geht.“ Ein Drahtseil, das vier Klauen miteinander verbindet. Spannt man das Seil, mit einer Ratsche bequem per Fuß, krallen sich die Klauen fest und gleichmäßig in den Stamm. Lassen den Baum gerade stehen, egal, wie krumm er gewachsen ist. Genial einfach. „Da hätt ma natürlich au glei drauf kommen können.“ Krinner malt die Skizze auf seinen kleinen Block, den er immer bei sich trägt, verschwindet in seine Werkstatt und schweißt aus Alteisen und Draht einen Prototyp zusammen. Wickelt ihn in eine Decke. „I hab auf einmal a riesige Angst ghabt, des mir no jemand die Idee klaut.“ Tags darauf fährt er die 150 Kilometer nach München zum Patentamt. Drei Wochen später bekommt er das Patent unter der Nummer DE 3932473C2 samt fünfzehnseitiger Patentschrift.

Krinner ist elektrisiert. Will seine Erfindung möglichst schnell in Serie herstellen lassen, weil er von deren Erfolg überzeugt ist. „Weils halt was war, was de Leit au wirklich was hilft.“ Wochenlang fährt er quer durch Deutschland. Ohne Erfolg. Zu teuer die Produktion. In der Zwischenzeit hilft ihm die Geschichte. Der eiserne Vorhang fällt. Der Weg in den Osten, der nur ein paar Dutzend Kilometer entfernt von Straßkirchen beginnt, war frei. Krinner fährt nach Tschechien. Dann weiter nach Polen. Findet schließlich einen ehemaligen Rüstungsbetrieb. Der ihm für wenig Geld die ersten hundert Christbaumständer fertigt. Die er fast alle an Verwandte und Freunde verschenkt. Ein paar wenige behält er. Mit ihnen fährt er wieder los. Landet schließlich in Düsseldorf bei der Zentrale der Metro, damals die größte Handelskette Europas. Wie bei allen anderen macht er es so, „wie man es eigentlich nicht macht.“ Er kündigt sich nicht telefonisch an. „Weil die ja den kleinen Krinner gleich am Telefon abgewimmelt hätten.“ Steht stattdessen vor dem Werkstor mit dem Christbaumständer unter dem Arm. Und erklärt dem Pförtner sein Vorhaben, dem Chefeinkäufer der Metro seine Erfindung zu zeigen. Der telefoniert mit ihm. Und fünf Minuten später lässt der Einkäufer Krinner zu sich kommen. „So was passiert ja vielleicht in hundert Versuchen einmal.“ Krinner lächelt. „Aber der hat halt wahrscheinlich a immer des Problem ghabt.“ Als Krinner das Büro verlässt, hat er einen Auftrag über 10'000 Christbaumständer für das Weihnachtsgeschäft 1989 in der Tasche. Es beginnt. Und hört nicht mehr auf. Bis heute. Im Folgejahr verkauft Krinner 65'000 Stück. Im Jahr 1993 sind es über 200'000. Und 2001 erstmals über eine Million. Längst schon ist man Weltmarktführer. Macht mit 250 Mitarbeitern einen Umsatz von 75 Millionen Euro. Von den 33 Millionen Christbäumen, die letztes Jahr in der Schweiz, in Deutschland und Österreich aufgestellt wurden, den drei Hauptmärkten des Unternehmens, stehen mittlerweile über 90 Prozent in Ständern von Krinner. Vom Einsteigermodell Comfort S für 25 Euro bis zum Topmodell Premium XXL für 180 Euro.

Die eine Art friedliche Revolution unter dem Weihnachtsbaum ausgelöst haben. „Es war bis dato ja so“, sagt Klaus Krinner, „dass meist der Mann den Baum festgschraubt hat, während die Frau ihn halten musste.“ Am Ende sei er dann aber immer noch oft schief gestanden. So dass es Diskussionen gab um die Schuldfrage. „Und so was braucht ma doch net an Weihnachten, des ma da so an Stress hat wegen so was Unwichtigem.“ Deswegen mache es ihn neben all dem Umsatz und Gewinn vor allem auch glücklich, etwas erfunden zu haben, was die Leute zufrieden macht. Tausende Briefe gingen in den Jahren ein bei Krinner, die Dank ausdrückten für seine Erfindung. Eine Frau schrieb sogar, „spaßeshalber natürlich“, dass man ihn deswegen für den Friedensnobelpreis vorschlagen solle.

„Eigentlich hab i des alles nur meinen Eltern zu verdanken,“ sagt Krinner nun, „die haben mi fast alles machen und ausprobieren lassen.“ Hätten ihm nie gesagt, das dieses und jenes nicht gehe. Ihn immer bestärkt in allem, was er tat. Zudem sei ihm zugute gekommen, dass er der Älteste war. „Weil ich dadurch mehr arbeiten musste.“ Er lacht. „Und alles können musste.“ So dass vielleicht eine ganz gute Mischung herausgekommen sei aus Disziplin und einem gesunden Glauben in das eigene Können.

Schon mit 17 geht er in die Schweiz, im Ausland Erfahrungen zu sammeln, arbeitet 85 Stunden die Woche als landwirtschaftlicher Gehilfe. Geht danach nach England, Frankreich. Anfang der Sechzigerjahre erbt er den Hof des Vaters, den er fortan betreibt. Milchkühe, Zuckerrüben. 1970 nimmt er an einer Lehrrundfahrt teil. Thema: Erdbeeranbau. Er rechnet sich vor, wie viel das Kilo Erdbeeren kostet und wie viel an Ertrag ein Hektar bringt. Tags darauf bestellt er 40'000 Pflanzen. Stellt in kurzer Zeit um von Vieh- und Zuckerrübenbetrieb auf Erdbeerplantagen. Wird schnell zum größten Erdbeerbauern Ostbayern, auf dessen Feldern jedes Jahr 200'000 Menschen kommen zum Selbstpflücken. Krinners Idee. Erst also 1986 In Tschernobyl ein Reaktor explodiert, neigt sich seine Zeit als Erdbeerbauer dem Ende zu. Aber kurz darauf kommt da ja schon der Christbaumständer. Auf einem Teil seiner Erdbeerfelder steht schon bald das neue Firmengebäude der Krinner GmbH.

Das er noch immer jeden Morgen um kurz vor sieben betritt. Nachdem der Wecker um 5.30 Uhr klingelt. Und er danach im unbeheizten Außenpool, dem einzigen Luxus seines Hauses, in dem er seit 1977 lebt, zwanzig Minuten schwimmen war. „Im Moment hat er sechs Grad,“ sagt Krinner. Aber bis vier Grad Wassertemperatur schwimme er immer. Also quasi den ganzen Winter durch, außer, wenn er zugefroren ist. Da komme man immer erfrischt ins Büro.

Ans Aufhören denkt er mit fast achtzig natürlich schon manchmal. Oft schon bekam er Offerten für sein Unternehmen. Über 90, 120, 180 Millionen Euro. Die er alle ablehnte. „Wissens,“ sagt er, „des kann keiner zahlen, weil man es nicht kaufen kann.“ Außerdem sei das auch schlecht für die beiden Söhne, die erst Mitte zwanzig sind. „Die würden verdorben bei so viel Geld.“

Deswegen hoffe er, dass „i no a Zeit lang herhalten kann.“ Zumal ihn die Arbeit auch jung halte und man dabei keine Zeit habe, an den Tod zu denken. Denn seine Söhne, 24 und 26, „i hob leider lange einfach kei Zeit ghabt für Kinder“, studieren noch in den USA. Werden den Betrieb aber übernehmen, das sei schon geregelt.

Stolz sei er nicht auf das, was er erreicht habe. Man brauche ja auch viel Glück für den Erfolg. Und das könne man nicht beeinflussen. Aber zufrieden. Das sei er schon. „Wissens,“ sagt er und lächelt, „das lässt mich gelassen sein.“