Columbus

Der Ort, an dem die Welt entsteht, vielfach jeden Tag, ist ruhig, nur Vogelgezwitscher ringsum, ein stillgelegter Bahnhof gegenüber und von der fernen Landstraße Richtung Bodensee gedämpfter Autolärm.

Es muss lauter gewesen sein vor ein paar Milliarden Jahren, als der Herr sechs Tage benötigte, um alles an den richtigen Ort zu bringen, die Berge, die Meere, Wüsten und Seen.

Letzte Woche ging ein gewaltiges Gewitter nieder auf Krauchenwies, Städtchen ohne Schnörkel, Oberschwaben, 5055 Einwohner. „Das hatte schon fast was Biblisches,“ sagt lächelnd Torsten Oestergaard im Empfangsraum seines Unternehmens, Columbus Verlag Paul Oestergaard GmbH. Torsten ist Urenkel des Gründers, Paul. Reingeregnet habe es, durch das altersschwache Dach des schlichten Firmengebäudes. „Jetzt sieht es hier aus wie Sau,“ entschuldigt Oestergaard schwäbisch direkt. Auch Blitze schlugen ein und der Strom fiel aus, so dass bei Columbus die Erschaffung der Welt für Momente zum Stehen kam.

Einer Firma, die ohne die Erkenntnis, dass die Erde eine Kugel ist, nicht existieren würde. Columbus ist weltweit ältester Globus-Hersteller und zugleich Marktführer in seinem Bereich. Was allerdings relativ ist. Das erklärt Oestergaard in Interviews gerne mit dem einleitenden Satz: „So einen wie mich werden Sie wahrscheinlich kaum mehr kennen lernen.“ Weil es eben nur eine Handvoll von Globus-Produzenten gebe. Columbus in Deutschland, noch einen in den USA, einige aus China neuerdings und einen aus Italien, „der aber nur Aldi-Globen herstellt.“ Zu seiner Rolle als Marktführer meint Oestergaard: „Ich würde ganz objektiv sagen, dass Columbus die absolute Nummer eins ist.“

Der 44-jährige mit dem Jungengesicht bittet ein paar Schritte hinüber zum Nachbargebäude, in dem sich der  Ausstellungsraum von Columbus befindet.

Auf dunklem Parkett reiht sich dort ein Globus an den anderen.  An der Wand hängt ein gerahmter Spruch von Einstein: „Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.“ Und Oestergaard sagt: „Die wahren Abenteuer finden im Kopf statt.“ Womit er meint: auf dem Globus. Mit dem man die Welt buchstäblich in Händen halten kann. Auf dem man für dreißig Euro, dem Preis für das Einsteigermodell bei Columbus, von Deutschland nach Grönland reisen kann, nach Havanna oder in die Südsee. In Gedanken, ohne Flugticket und ohne Enttäuschungen beim Hotel. Der Globus auch als Ventil für die Sehnsucht der Menschen, die sich ja oft weg denken an einen Ort, an dem sie nicht sein können aus den verschiedensten Gründen.

Natürlich ließe sich das Fernweh auch auf Landkarten oder im Internet entfachen. „Aber das Internet kann den Globus nicht ersetzen,“ sagt Oestergaard. In den letzten zehn Jahren hat sich der Umsatz von Columbus verdreifacht, das Internet macht aber immer noch nur zehn Prozent davon aus. Jede zweidimensionale Darstellung der Welt sei eben verzerrt, weil das Rund der Erde nicht auf einer flachen Ebene originalgetreu dargestellt werden könne. Selbst bei 3-d-Darstellungen sei das Problem nicht befriedigend gelöst. „Wer den globalen Überblick behalten möchte, der braucht den Globus.“ Auch weil der ganz einfach schöner ist als ein schnödes Stück Papier oder gar der Blick auf einen Bildschirm. Sagt Oestergaard und streicht sachte über einen der indischen Ozeane im Raum.

Derzeit wollen anscheinend viele den  globalen Überblick behalten. Die Nachfrage ist enorm und seit einigen Jahren schon steigt der Umsatz von Columbus wieder kräftig und stetig. Rund 100'000 Globen verkaufte das Unternehmen im letzten Jahr. Über den Umsatz schweigt man sich aus, Diskretion ist eine Tugend in Schwaben. Vor allem sehr teure Globen ab 3000 Euro Stückpreis werden immer häufiger verkauft, als hochwertiges Wohnaccessoire. Die Welt aus Kristall, über einen Meter im Durchmesser groß, gehalten von Mahagoni oder kanadischem Ahorn. So sieht das Topmodell Magnum 111 aus, für 8990 Euro. Columbus arbeitet konsequent daran, der Welt ein schönes Antlitz zu verpassen. Oestergaard lässt in seinem Haus Kartographen immer mit Designern zusammenarbeiten. Heraus kam dabei vor kurzem zum Beispiel ein Globus mit schwarzem Meer und weißen Kontinenten. Ungewöhnlich fanden den zunächst viele Kunden. Dann aber entwickelte er sich zu einem Verkaufsrenner. Auch beim Zubehör geizt man nicht. Die Erdkugel stellt man hier gerne mal auf Füße aus Mahagoniholz und spannt sie zwischen Halterungen aus Edelstahl, deren Schrauben sich in Nord- und Südpol bohren. Im Büro von Angela Merkel hängt auch ein Globus von Columbus, allerdings ohne Mahagoni. Aus Gründen politischer Korrektheit.

Der Mikrokosmos von Columbus umfasst 60 Mitarbeiter, unter denen sich Oestergaard lediglich als „primus inter pares“ sieht. Wie ein Symbol dafür stellt er jeden Morgen seine S-Klasse von AMG nicht auf den Parkplatz mit dem kleinen „Geschäftsführung“-Schild sondern auf den des „Sekretariats“. Oder nimmt auch mal einen der Mitarbeiter zu einer Ausfahrt in seinem Porsche mit.

Schnelle Autos mag er eben. Und harte Arbeit. Wenn etwas dabei herauskommt. Vor 18 Jahren übernahm er das Unternehmen von seinem Vater. Obwohl das in der Erbfolge der Oestergaards eigentlich dem ältesten Bruder zugestanden wäre. Der aber hatte keine Lust, ein Unternehmen wieder aufzurichten, das 1990  vor dem Aus stand, einundachtzig Jahre nach seiner Gründung 1909 in Berlin.

Damals fiel der eiserne Vorhang und es verschwand die DDR. Niemand wollte danach einen Globus kaufen, auf dem der Sozialismus geographisch noch weiter existierte. Wo genauer gesagt das kleine Land zwischen Erzgebirge und Ostsee je nach Durchmesser der Globen noch fingernagel- oder fingerkuppengroß zu sehen war. Tausende  Kunden stornierten ihre Aufträge und eine ganze Jahresproduktion landete auf dem Müll. Auch in den Folgejahren konnte man kaum ein paar Monate produzieren, ohne Gefahr zu laufen, erneut von der Geschichte überholt zu werden. Mal zersplitterte die Sowjetunion in ihre Einzelstaaten, dann hieß die CSSR erst CSFR und danach zerfiel sie ganz in Slowakei und Tschechien. Und auf dem Balkan brach der Krieg aus und mit ihm die Einheit Jugoslawiens zusammen. Zuviel Veränderung in zu kurzer Zeit für eine Firma, die auf ein gewisses Maß von Kontinuität angewiesen ist. Und Oestergaards Vater überlegte, aufzugeben, nachdem er in wenigen Jahren seine Belegschaft von 120 auf sechs Mitarbeiter reduzieren musste.

Dann aber übernahm Torsten Oestergaard das Unternehmen, obwohl er zuvor in der Gastronomie gearbeitet hatte. Mit der großen Welt ist er da aber zumindest teilweise in Berührung gekommen, war er doch persönlicher Serviceleiter von Lothar Späth, dem früheren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. „Ich beriet ihn in allen Fragen der Gastlichkeit für Staatsempfänge,“ sagt Oestergaard mit leuchtenden Augen, ein bisschen berauscht von der Erinnerung.

Dann war Schluss bei Späth. Oestergaard musste jetzt die elterliche Firma retten. Er holte Columbus wieder raus aus den roten Zahlen. Erstens weil ihm die Welt entgegen kam, da sie sich wieder ein wenig beruhigte und zweitens weil er jeden Tag 18 Stunden arbeitete in dieser Zeit. Und, was er „nicht  ganz ungenial“, findet, den Globus speziell für Kinder erfand. Mit Begleitbüchern, die der Spielproduzent Ravensburger, auch in Oberschwaben verortet, für Columbus produziert. Und zur Fußball-WM vor zwei Jahren brachten sie, „weil sich das von der Form nun mal angeboten hat,“ einen Fußball-Globus heraus.

Bei allem Design und allen Schnörkeln achtet man bei Columbus aber auch darauf, dass die Welt im Detail stimmig ist. Genauer gesagt tun das die Kartographen. Sie wissen, dass im kanadischen Quebec die beiden Städte Jonquiere und Chicoutini zu einem neuen Ort namens Saguenay zusammengefasst werden, das der austrocknende Aralsee von Jahr zu Jahr kleiner wird oder das bei den internationalen Globen die burmesische Hauptstadt nicht Rangun heißt, sondern Naypyidaw. Das hebt Columbus ab von allen Konkurrenten bis auf Scanglobe im US-amerikanischen Illinois. Dass man aber bei Columbus auch die Gebirge auf den Meeresgründen farblich und also optisch hervorhebt, damit können sie nicht mal dort mithalten. Was auch der Grund ist, warum die Zeitschriften „GEO“ und „National Geographic“ ihre Globen ausschließlich in Krauchenwies produzieren lassen.

Die werden, wie alle anderen auch, im Kellergeschoss hergestellt. Die Entstehung eines Globus sind zwei halbe Sachen. Nord – und Südhalbkugel werden separat voneinander erstellt. Zu Beginn werden die beiden Schalen bedruckt. Zunächst die Meridiane, dann die Meere. Nach und nach wird die Erde überzogen mit Landmassen, mit Bergen, Tälern, Seen, Flüssen. Mit allem, womit es der Erschaffer vor Milliarden Jahren zu tun hatte. Am Ende erst wird aufgedruckt, was die Menschen erfanden: politische Grenzlinien.

Danach rückt die Erde dann endgültig zusammen. Nord- und Südhalbkugel werden am Äquator miteinander verklebt und wieder eine neue Welt verlässt das kleine Krauchenwies.