CERN

„Wir sind,“ sagt Rolf Landua, Dr. rer. nat., rerum naturalium, Naturwissenschaftler, mit einer Arbeit über “Untersuchungen von Kaskadenprozessen in exotischen Atomen“ promoviert im Jahr 1980, „physikalisch gesehen zu neunundneunzig komma Periode neun Prozent leerer Raum.“ Weil ein Mensch und alles andere auf der Welt und auch die Welt selbst, aus ein und denselben Bausteinen bestünde. Aus unzähligen Atomen. Die eine Hülle hätten aus negativ geladenen Teilchen. Elektronen. Eine Hülle, die im Wesentlichen nichts als leeren Raum einfasse. Masse habe allein der Kern eines Atoms und der sei winzig. „Wäre ein Atom so groß wie ein Sportstadion,“ sagt Landua, „würde der Kern einer Erbse in der Mitte des Rasens entsprechen.“ Der seinerseits aus zweierlei Teilchen bestehe: Protonen und Neutronen. Doch selbst die seien noch immer nicht der Urstoff aller Dinge. Weil ein Proton gemacht sei aus drei so genannten Quarks. Elementarteilchen. Kleiner gehe es nicht.

„Noch nicht,“ sagt Landua, dunkle Jeans, kurzärmliges Hemd, und lächelt, „aber wir arbeiten dran.“ Denn die Vermutung eines schottischen Kollegen namens Peter Higgs schon vor Jahrzehnten lässt die Welt der Atomphysiker nicht ruhen, dass es einen noch grundlegenderen Baustein für alles gebe. Den es nur noch experimentell nachzuweisen gelte, um ihm dann denn Namen Higgs-Teilchen zu verleihen. „Bon“, sagt Rolf Landua, der manchmal ins Französische kippt, „das geht jetzt vielleicht ein bisschen zu schnell.“

Landua, geboren 1954 in Wiesbaden, von mittelgroßer Statur, freundliche Augen in einem weichen Gesicht, ausgedünntes Haar, früh schon entzündet von großen Fragen, wippt in seinem Bürostuhl aus abgewetztem Kunstleder und nippt an einer Flasche Cola. Man sitzt in Büro R-030, ein schmaler Raum, erhellt von einer Neonröhre, als einzige Extravaganz ein großer Bildschirm auf dem Schreibtisch, Gebäude 33 des Conseil Europeen pour la Recherche Nucleaire, Europäische Organisation für Kernforschung, CERN. Gelegen am Rande der Kleinstadt Meyrin nahe Genf.

Dem weltgrößten Forschungszentrum für Teilchenphysik. Wo man mit Formeln und Experimenten dem Wesen der Dinge nachspürt in ihren kleinsten Ausprägungen. Fern durchschnittlicher Vorstellungskraft. Um nichts weniger zu erfahren als das, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die Forschungsgegenstände am CERN haben die Ausmaße eines Senfkorns. Verkleinert jedoch um denselben Faktor wie wenn man die Sonne auf ein Senfkorn reduzierte. Grundlagenforschung. Eine, die niemand braucht, sagen manche. Rolf Landua stellt seine Cola auf den Schreibtisch, schaut aus dem Fenster, draußen leuchtet eine Esso-Tankstelle in den Novembernebel, dreht seine Handflächen nach oben. „Die einzig legitime Rechtfertigung für unser Forschen hier ist die Neugier.“ Da müsse man ehrlich sein.

Aber mache Wissen nicht glücklich? Zumal man hier nach Antworten sucht auf zentrale Fragen: Was ist der Ursprung unserer Welt. Was ist Materie. Aus was sind wir. Aus was ist alles, Elefanten, Schnee, Birken, Strumpfhosen, Bananen, Luft. Was geschah beim Urknall, jenem Ereignis vor von Physikern geschätzten 13700 Millionen Jahren, ohne das nichts wäre, kein Geld, keine Macht, keine Stadt, keine Liebe, kein Hass, weder Musik noch Rolf Landua, weder Einstein noch Sex, weder Leben noch Tod. Allein die Frage nach dem Grund für alles Werden und Vergehen und ob nur ein Gott hinter all dem stecken kann wird auch am CERN wohl niemals jemand beantworten können. Dennoch, sagt Landua, hielten es die meisten von denen, die dort arbeiteten, wie der griechische Philosoph Demokrit, der vor gut zweitausend Jahren einmal gesagt haben soll, lieber wolle er ein Naturgesetz entdecken, als König von Persien werden. Zuweilen scheint es, als wandle sich die  Suche in Besessenheit. So soll vor Jahren, hält sich das Gerücht, jemand über seinen Formeln zu essen vergessen haben und schließlich an Skorbut gestorben sein. „Naja,“ sagt Landua, „was wäre die Welt ohne Legenden.“ Obwohl bei vielen hier schon Matratzen lägen neben den Schreibtischen und auf den Gängen gäbe es auch Duschen.

Seit dessen Gründung im Jahre 1954, der Neutralität wegen auf Schweizer Boden, ist das CERN ein Weltlabor der besten Teilchenphysiker. Ein Mikrokosmos der Wissenschaft auf der ausdauernden Suche nach letzten Erkenntnissen. Auf sechs Quadratkilometern erstreckt sich das Gelände am Fuße des Juragebirges, umgeben von Weinbergen und Wiesen und eingefasst von einem hohen Zaun, über schweizerischen und französischen Boden,  deklariert als exterritoriales Gebiet. Zwanzig Staaten sind als Mitglieder dem CERN angeschlossen, über ein jährliches Budget von 800 Millionen Euro verfügt, 3400 Mitarbeiter beschäftigt es, auch Menschen mit handfesteren Arbeiten, Putzkräfte, Köche, Kassiererinnen. Dazu forschen mehr als 8000 Gastwissenschaftler und Stipendiaten aus 85 Nationen, die ein- und ausfliegen über den nur fünf Kilometer entfernten Genfer Flughafen Cointrin.

Äußerlich ist das CERN ein Gewirr aus 670 Gebäuden, verbunden über Straßen, die nach verstorbenen Größen der Physik benannt sind, Route M. Curie, Route A. Einstein, Route M. Faraday. Es gibt vier Restaurants und drei Hotels, einen Hubschrauberlandeplatz für hohen Besuch, ein kleines Krankenhaus, eine Bank, einen Kindergarten, ein Reisebüro, eine Krankenversicherung und eine Post.

Von der aus Rolf Landua schmutzige Wäsche, zu Beginn seiner Zeit am CERN, 1976, noch zu seiner Mutter nach Wiesbaden schickte. Landua, einst junger Student der Physik an der Universität Mainz, ausgestattet mit der Begabung, sich in naturwissenschaftlich weniger außergewöhnlich begabte Seelen hineinzuversetzen, ist am CERN Fachmann für Antimaterie. Dem es, „mein schönster Moment am CERN“, vor sieben Jahren gelang, als Leiter des „Athena-Experiments“ mit einem Team von dreißig Wissenschaftlern ein Billiardstel Gramm Antimaterie herzustellen. Was genau Antimaterie ist? "Wenn sich, wie etwa beim Urknall geschehen, Energie in Masse verwandelt,“ sagt Landua, „entsteht mit jedem Teilchen gleichzeitig auch sein spiegelbildliches Teilchen mit entgegen gesetzter elektrischer Ladung.“ Leider sei die Antimaterie keine Freundin der Materie. "Materie und Antimaterie annihilieren sich gegenseitig.“ Sie brächten einander um. Warum dann die Schlacht nicht dazu geführt hat, dass sie sich beim Urknall gegenseitig aufgehoben haben und nichts mehr übrig geblieben ist? "Das fragen wir uns auch. Es muss da eine Art Knacks gegeben haben. Einen Symmetriebruch.“ Der könnte die Vorliebe der Natur für die Materie erklären. Und damit die Existenz unserer Welt.

Wegen seines Spezialgebietes gelangte Landua schon einmal zu gewissem Ruhm. Als er Dan Brown in dessen Bestseller „Illuminati“ als  literarische Vorlage für eine Nebenrolle diente. Weil im Buch aber Kriminelle den Vatikan mit hochexplosiver Antimaterie erpressen wollen, um einigen Würdenträgern zur Kardinalswahl zu verhelfen, überlebt das Alter Ego von Rolf Landua nur bis Seite 15. Dann wird es grausam ermordet. „Er roch brennendes Fleisch und es war sein eigenes. Um Gottes Willen, nein, schrie er auf. Aber es war zu spät.“ Das sei in Ordnung für ihn, lacht Landua in sein Büro. Neben dem Fenster baumelt an einem Nagel ein kleiner Einstein als Plastikfigur. Schließlich komme es ja auf das an, was im wirklichen Leben geschehe.

Auf seinen Arbeitgeber bezogen meine er damit vor allem das Herzstück und den neuen Stolz des CERN, den man vor gut zwei Jahren, am 10. September 2008, um 10.28 Uhr vormittags und beobachtet von aller Welt, in Betrieb nahm. Er heißt LHC. Large Hadron Collider. Lose übersetzt ist er auch Laien ein Begriff geworden: Teilchenbeschleuniger. Der dem CERN, als willkommenes Nebenprodukt, einen Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde bescherte. Als größtes und komplexestes Gerät, das die Menschheit je gebaut hat. Manche Reporter tauften sie „Gottesmaschine.“ Das sei übertrieben, sagt Landua, „aber wir wollen uns damit,“ die rechte Handkante schneidet vor seinem Gesicht durch die Luft , „ganz nahe an den Urknall heran denken.“ Um so Schätzung und Vermutung darüber in Wissen zu verwandeln.  Wozu? „Um zu wissen.“ Über drei Milliarden Euro kostete das Wunderwerk menschlichen Schaffens. In einem 27 Kilometer langen Tunnel, der einen geschlossenen Ring bildet, 100 bis 150 Meter tief in der Erde unter dem CERN, verrichtet es seinen Dienst.

In der Mitte des Tunnels verlaufen zwei enge Röhren, so genannte Strahlrohre. Durch die Protonen geschossen werden. 300 Billionen davon durch die eine Röhre, links herum, 300 Billionen durch die andere, rechts herum. Die winzigen Teilchen, verantwortlich für den Großteil des Atomkerns, werden beschleunigt auf 99,9999991 % der Lichtgeschwindigkeit. Übersetzt in menschliches Verständnis: 299 792 Kilometer pro Sekunde. Wie ein Schwarm miniaturisierter Sardinen bilden sie dabei einen winzigen Strahl, dünner als ein menschliches Haar, der von gewaltigen Magneten, Spulen aus den hoch leitenden Metallen Niob und Titan, in den Röhren auf Kurs gehalten und durch ein elektrisches Wechselfeld beschleunigt wird.

Zur Kollision der Protonen, dem eigentlichen Experiment, kommt es dann an vier Stellen des Rings. Immer dort jeweils, wo sich der Tunnel zu Kavernen weitet, in denen, fünfundzwanzig Meter hoch und vierzig Meter lang, so genannte Detektoren stehen, schwer wie der Eiffelturm jeder. Apparaturen, ausgestattet mit Millionen von Sensoren, verbunden über  zehntausende Kabel, die im Grunde funktionieren wie ein überdimensionaler Computertomograph. Kurz bevor die Protonenstrahlen die Detektoren erreichen, werden sie von Magneten über Kreuz in die jeweils andere Röhre geleitet. So kommt es zur Kollision. „Dadurch bekommen wir etwa 600 Millionen kollidierende Protonen in jeder Sekunde,“ sagt Landua mit weit geöffneten Augen. Bei jedem Zusammenprall entstehe dabei zwar nur eine Kollisionsenergie, als ob zwei Mücken gegeneinander flögen. Weil das aber auf solch winzigem Raum geschehe, entstünden Temperaturen, die um ein Vielfaches höher seien wie sie im Inneren der Sonne herrschten. Es ist, sagt Landua, als ob man einer nur noch leicht abgeschwächten Version des Urknalls durch ein Schlüsselloch zuschaue.

Dem Higgs-Teilchen jedoch ist man bislang noch nicht auf die Spur gekommen. Man brauche Geduld. Zehn Jahre hat man sich gegeben für das Experiment am LHC. Zehn Jahre nur für das Higgs-Teilchen? "Aber nein", sagt Rolf Landua. Zwar würde dem CERN höchstwahrscheinlich der Physiknobelpreis winken, es wäre der dritte, würde man es tatsächlich entdecken. Dass aber sei nur ein kleiner Teil der Motivation. "Mit dem neuen Teilchenbeschleuniger ist das wie bei Columbus: Wir suchen nach einem Seeweg nach Indien. Aber womöglich werden wir unterwegs ganz andere, noch viel aufregendere Dinge entdecken." Immerhin bestehe die Masse des Universums zu immer noch 96 % aus Dingen, die wir nicht verstünden: dunkle Materie und dunkle Energie.

Der Weg dorthin führt über einen Ozean aus Daten. Denn alles, was man suche, lasse sich eben nur aus dem gesammelten Material, 15 Millionen Gigabyte jährlich, entsprechend dem Datenaufkommen des weltweiten Telefonnetzes, extrahieren. „Mit bloßem Auge würden wir ja nicht viel erkennen können.“ Der Mensch, ohne die Technik, sei doch recht unvollkommen. Die aber verlangt nicht nur viel Geld, sondern giert auch nach Strom. Das CERN benötigt davon genauso viel wie die benachbarte 185’000-Einwohner-Stadt Genf. Ein grenznahes, französisches Atomkraftwerk produziert fast exklusiv zum Wohle der Teilchenphysik. „Umsonst ist der Tod,“ sagt Landua. Zumal Forschung an Grundlagen viele nützliche Nebenprodukte hervorgebracht habe. Das wohl bekannteste des CERN sei die Erfindung seines Kollegen Tim Berners-Lee gewesen, dessen Büro damals nur drei Zimmer weiter lag. Der 1990 an einem anderen großen CERN-Projekt mitarbeitete und zur Vereinfachung der Kommunikation hierfür etwas erdachte, das er dann World Wide Web nannte. So dass www.cern.ch zur ersten Internetadresse der Welt wurde. „Kaffee?“

Auf dem verschlungenen Weg zur großen Kantine im Hauptgebäude läuft man über glänzenden, rissigen Kunststoffboden, rechts und links abblätternde Holztüren aus den Sechzigern, neben denen Schränke stehen, aus demselben Jahrzehnt, Berge von Papier in jedem. Eine der Türen steht einen Spalt offen und man sieht eine grüne Tafel, Kolonnen von Formeln darauf, ohne Richtung. Es riecht modrig in den Gängen und in einem Treppenhaus tropfen Heizungsrohre. „An der Oberfläche hat sich nichts geändert, seit ich hier bin,“ sagt Landua und lacht. „Wir können hier glaubhaft vermitteln, dass alles Geld nur in die Forschung fließt.“ Die Menschen, die einem entgegenkommen, grüßen freundlich und sind nachlässig gekleidet, dem Kern eher zugeneigt als der Hülle. Wenn hier jemand mal einen Anzug trage, habe der entweder geheiratet oder es sei der Premierminister seines Mitgliedslandes zu Besuch. Am frühen Nachmittag ist die Kantine halb besetzt, ein riesiger Raum mit einfacher Bestuhlung wie auch die heutige Menüauswahl, die auf einer Tafel am Eingang steht: Menü Neutron, „Hacksteak,“ 8,40 Franken, Menü Proton, „Fisch des Tages,“ 9,90 Franken. Preiswert für hiesige Verhältnisse. Wobei das CERN auch nicht mit Spitzengehältern protzt. Seine fest angestellten Forscher, die Weltelite ihres Fachs, verdient zwischen 6000 und 10000 Franken im Monat. Der „DG“, „Director General“, achtzehntausend.

Landua stellt seine Tasse auf die Untertasse, die fest auf dem Tisch steht. Wenn alles aber aus nicht mehr besteht als aus Atomen, die fast vollständig leerer Raum sind: Wie kommt es dann, dass die Dinge des Lebens kompakt sind, Halt haben? Dass die Tasse dort steht, wo sie steht? Und der Tisch? Und der Stuhl, auf dem Landua sitzt? Und wie kommt es, dass man nicht durch Wände gehen kann? Weil Elektronen, als Hülle um den Atomkern kreisend, versehen mit negativer elektrischer Ladung, sich gegenseitig abstießen. Sich so nicht in die Quere kämen. Und dass auch gar nicht wollten. „Elektronen sind im Grunde antisoziale Teilchen,“ sagt Landua. Deswegen würde kein Atom das andere durchdringen. Deswegen steht die Tasse auf dem Tisch. Der Tisch auf dem Fußboden. Der Fußboden auf dem Betonfundament, das deswegen auch nicht in der Erde versinkt. Deshalb, leider, im Fall eines Falles, täte auch eine Faust im Gesicht so weh.

Draußen senkt sich Dämmerung über das CERN, der Tag biegt langsam zu seinem Ende ab. Genau wie das Jahr, das 56. seit Bestehen des CERN. So alt ist es wie Rolf Landua. Ist nicht tagtägliche Beschäftigung mit Zeitdimensionen nahe der Ewigkeit beängstigend? „Nein,“ sagt Landua. „Nur relativierend.“ Das bringe die Arbeit hier tatsächlich mit sich.

Vor einiger Zeit sollte er sich für ein Buchprojekt Gedanken machen, wie man diese Dimensionen veranschaulichen könnte. Er dachte an die Serien im Fernsehen, die abends zuweilen laufen, wenn die Tochter seiner Lebensgefährtin sich der Fernbedienung bemächtigt. Also stellte er sich das Universum als Serie vor. Mit 137 Episoden. Jede Episode ist hundert Minuten lang und erzählt 100 Millionen Jahre.

In den ersten drei Minuten der ersten Episode geschieht der Urknall. Als sich ein kleiner Punkt, nicht größer als ein Stecknadelkopf, darin aber unendlich viel Energie geballt, aufblähte und in einer gigantischen Explosion all die Energie in Materie wandelte. Am Ende der ersten Episode entsteht Licht. Dann der Abspann. In Folge 4 bilden sich erste Sterne. Dazwischen hat die Serie etwas Länge. Erst in Folge 11 passiert wieder Folgenschweres: die Sterne explodieren und werden zu Staub. In Folge 90 bildet sich aus dem Sternenstaub die Sonne und kurz danach: die Erde. „Naja,“ sagt Landua, „im Fernsehen hätte man die Serie zwischenzeitlich längst abgesetzt.“ In Folge 117 formiert sich erstes Leben. Doch erst zu Beginn von Folge 137, der letzten schon, kommen Dinosaurier ins Bild. Der Homo sapiens, der Mensch im engeren Sinne, wird zwei Sekunden vor Ende eingeführt und die ganze Geschichte des modernen Menschen vom antiken Griechenland bis heute entspricht einer fünfundzwanzigstel Sekunde. Ganz zum Schluss dann, im allerletzten Bild, nur ein Bruchteil eines Wimpernschlages lang zu sehen, hat Rolf Landua seinen Auftritt, Physiker aus Leidenschaft, Besitzer eines Diplomatenpasses für langjährige CERN-Mitarbeiter und geschiedener Vater von drei Kindern, die bei ihm aufwuchsen.

Den man nun fragt, was eigentlich vor dem Urknall war und vor dem Davor. Der mit den Schultern zuckt. „Keine Ahnung.“ Den Kopf schüttelt. „Ehrlich.“ Weil man hier arbeite, heiße das nicht, dass man alles verstehe.

Angst vor dem Tod habe er keine. „Wobei,“ sagt er und lacht, „fragen Sie mich noch mal in zwanzig Jahren.“

Aber eine schöne, vielleicht die schönste Erkenntnis der Physik sei, dass praktisch alle Teilchen, aus denen auch die Menschen bestehen dieselben sind wie jene, die beim Urknall freigesetzt wurden. Alle also dasselbe Alter haben und schon so lange existieren wie das Universum. Es gebe zwar, habe Platon einmal gesagt,  keine Grundstoffe, die nicht in Auflösung übergehen. So dass die Tiere, Menschen, Pflanzen nur vergängliche Strukturen seien. Ihre Bestandteile jedoch, die Elementarteilchen, blieben ewig.

„Das gibt einem doch ein gewisses Gefühl von Geborgenheit,“ sagt Rolf Landua und lächelt.