Anton Strohofer

Die Geschichte des Unternehmers Anton Strohofer könnte zu unterschiedlichen Zeiten beginnen. 1964 vielleicht. Als die junge Bundesrepublik die Autobahn A3 erweiterte um das Teilstück zwischen Würzburg und Nürnberg. Quer durch die Felder der Strohofers, die damals noch Bauern waren im kleinen Flecken Geiselwind.

Oder 1981. Als Anton Strohofer die Autobahn längst von der Bedrohung zur Chance gewandelt hatte. Und an der Ausfahrt 76, Geiselwind, nach zwei Jahren Bauzeit, seinen Rasthof eröffnete. Der seit langem schon der größte ist in ganz Europa. Strohofer vermögend machte und glücklich.

Weniger des Vermögens wegen. Viel mehr, weil der Rasthof ihn in ständiger Bewegung hält und Strohofer einer ist, der sich von Stillstand bedroht fühlt. So sehr, dass er der Zukunft manchmal zu schnell entgegendrängt. Als er die erste private Autobahnkirche bauen möchte, im Jahr 2001, ist der Rohbau schon fertig, als er erfährt, dass keine Kirche errichtet werden darf ohne die Erlaubnis des zuständigen Bischofs. Die Strohofer, gläubiger Christ, dann aber bekommt.  

Oder sie beginnt in der Gegenwart. In der Anton Strohofer ein noch immer vitaler Mann von fünfundsiebzig Jahren ist, Vater von fünf Kindern, von denen eines nicht mehr lebt, Großvater von 18 Enkeln, dreifacher Urgroßvater, verheiratet seit 50 Jahren, der, wie er sagt und dann lacht, „also mit einer Uroma ins Bett geht“.  

Oft ist er in einem silbernen Mercedes E-Klasse, „mein mobiles Büro,“ unterwegs durch sein Reich, das am Fuße des Steigerwaldes liegt, in fränkischer Provinz. Wenn er nach dem Lenkrad greift, ist der Arm stets durchgestreckt, weil Strohofer ein eher kleiner Mann ist, er aber seiner beachtlichen Körperfülle wegen einigen Platz braucht zwischen Sitz und Lenkrad. Mit einem Nicken grüßt er auf seiner Fahrt, die bedächtig vorangeht, immer wieder einen Gast oder einen Mitarbeiter. Schaut auch, ob alle Arbeit haben oder er neue verteilen kann.

Unterhalb des Rasthofs rauscht auf der A3, einer der wichtigsten und meist befahrenen Magistralen Deutschlands, unablässig Europa vorbei. Auf der die Fernfahrer Blumen von Holland nach Österreich transportieren, Autoteile aus Südosteuropa zu den Nordseehäfen oder Margarine vom Ruhrgebiet nach Berlin. Damit sie bremsen und den Blinker setzen, sobald weiß auf blau „Geiselwind 1000m“ angekündigt wird, gibt Anton Strohofer Vollgas seit fast dreißig Jahren.

„Wachsen statt Schrumpfen“ sagt Strohofer, „war schon immer mein Motto.“ Wobei das „t“ in seinem Mund immer zum „d“ abgeschliffen wird. Sein schwerer fränkischer Akzent fügt sich ebenso wie das runde Gesicht mit Brille und grauem Schnäuzer in das Bild eines gemütlichen Mannes. Was Strohofer in seinem Leben als Unternehmer aber nur selten war. Eigentlich nie.

Das Resultat seiner Unruhe steht auf 48 Hektar Land, groß wie 60 Fußballfelder. Drei Tankstellen mit zwanzig Zapfsäulen befinden sich darauf, die jeden Tag über 100'000 Liter Kraftstoff verkaufen, ein Restaurant, eine Mc-Donalds-Filiale und eine von Burger King, mit dem weltweit einzigen LKW-Drive Inn, drei Waschstraßen, eine gewaltige Werkstatt,  3’000 gewöhnliche und 700 für LKW ausgelegte Parkplätze. Es gibt ein Hotel mit 160 Betten ab 37 Euro die Nacht, mit finnischer Sauna, osmanischem Dampfbad und Edelstahl-Schwimmbecken. Dazu eine Veranstaltungshalle, groß wie ein Flughafenterminal, in der Country- und Schlagergrößen regelmäßig Konzerte geben, eine Discothek, eine Metzgerei mit eigener Schlachtung, ein Internetcafe, eine Spielhalle und, nachdem er sie fertig bauen durfte, eine Autobahnkirche, in der Strohofer jeden Tag eine Kerze entzündet. Für das Glück, das er hatte und für seinen Sohn, der es nicht hatte, 1983, als er mit seinem Auto auf einer Fahrt für den Betrieb verunglückte.

Mehr als 1'500 LKW steuern Strohofer täglich an, über 30 Reisebusse und ungezählte Autos. 10'000 Menschen  beherbergt man jeden Tag. Für einen Moment, wenn nur getankt wird. Oder für länger. Vor allem die Trucker, der noch immer wichtigsten Klientel. Die nach dem Tanken ihre Ruhezeiten einhalten müssen oder zum Übernachten zu Anton Strohofer kommen. „Weil sie bei mir wissen, was sie erwartet,“ sagt Strohofer. Und schiebt einen dieser kurzen Sätze nach, die er stets parat hat. Angesiedelt zwischen Kalenderspruch und Schlagzeile. „Bei uns kann man Fahrzeug, Leib und Seele auftanken.“

Für die Seele plant er schon neues. „Eine Tankstelle für den Geist.“ Auf der freien Fläche hinter dem Hotel, die von Wald und Hügeln umgeben ist und die er vor einigen Jahren hinzukaufte. Weniger für Trucker, mehr für Familien auf dem Rückweg vom Urlaub. Ein Amphitheater soll es geben, einen Klanggarten, eine Meditationsecke und einen Bereich, in dem man Steine zurecht klopfen kann oder eine Sitzbank schnitzen. Alles um einen großen Weiher herum angelegt. Wo der Mensch, sagt Strohofer, abseits des voll umzäunten Geheges Autobahn auch mal für einen Moment durchatmen könne. Hinter dem Weiher erkennt man ein Amphitheater im Bau. „Und noch weiter hinten,“ zeigt Strohofer durch die Windschutzscheibe auf eine Anhöhe, „soll ein Trainingsgelände hin.“ Die Fußballer des 1. FC Nürnberg sollen bald schon bei Strohofer ihr Trainingslager abhalten. ist Anton Strohofer: immer im großen Maßstab denkend und immer in die Zukunft. Seine nicht versiegenden Expansionsideen führen dazu, dass er sein Testament, „das ich schon vor Ewigkeiten verfasst habe,“ ständig überarbeiten muss.

Im Seitentrakt der Veranstaltungshalle sitzt in ihrem schlichten Büro mit PVC-Boden Manuela Strohofer. An der Wand hängt ein gerahmter Spruch: „Das Leben ist schön. Hab Vertrauen.“ Zusammen mit ihrer jüngeren Schwester wird sie das Unternehmen führen, wenn ihr Vater sich dereinst endgültig zurückziehen sollte. Schon jetzt sitzen sie mit in der Geschäftsleitung. Auch die Tochter von Manuela ist dabei genauso wie ein Schwiegersohn, der seinen Nachnamen aufgab. Und Anton Strohofers Frau Herlinde ist noch immer Herrin über die Zahlen. Der Rasthof war von Beginn an eine Familienangelegenheit.

Deren unbestrittener Kopf bis heute ihr Vater sei, sagt Manuela Strohofer. „Mein Vater weiß, was er will und das setzt er am liebsten durch.“ Und noch lieber sofort. Im Grunde sei er so eine Art Patriarch, ein typischer Nachkriegsunternehmer, der sagt, wo es langgeht und wie. „Was öfter mal zu kräftiger Reibung führt.“ Gerade in einem Familienbetrieb. Noch dazu, weil die Strohofers nach der Arbeit alle unter einem Dach wohnen im alten, umgebauten Bauernhof, zwei Minuten Fahrt entfernt auf der anderen Seite der Autobahn. Aber, sagt sie, geduldigen Menschen fehlt wahrscheinlich manchmal ein wenig der Biss. Den hatte Strohofer, der Vater, den alle „Toni“ nennen, immer. Was ihn vielleicht jedoch von Menschen unterscheide, die eben nur ehrgeizig sind und eisern zu sich und anderen, das sei seine Leutseligkeit. Ständig gehe er auf Menschen zu, verwickle sie in Gespräche, lande nicht selten im Restaurant, um ihnen einen auszugeben. „Ohne Hintergedanken.“  Außerdem, was für einen Unternehmer ja nicht das schlechteste sei, mache es ihrem Vater nichts aus, im Mittelpunkt zu stehen. „Am liebsten würde er bei jedem Event in der Halle selbst der Moderator sein.“

Toni Strohofer steuert seinen Wagen, auf dessen Armaturenbrett ein Amulett des Heiligen Christopherus prangt, Schutzheiliger aller Reisenden, einen Kilometer zurück von der Zukunft in die Vergangenheit. Dorthin, wo alles begann. Zu „Toni’s Raststätte“. Das Restaurant und die Shell-Tankstelle daneben waren die ersten Gebäude des Rasthofs. Oder, wie Toni Strohofer sagt: „Der erste Bauabschnitt.“ Weil er nur in Bauabschnitten denkt und er keine gesteigerten Sentimentalitäten pflegt zu Vergangenem. Über dem Restaurant liegt sein stationäres Büro. Wie eingeschlafen in den Achtzigern. Eine dunkel getäfelte Holzdecke und vor den Fenstern Blümchengardinen mit Troddeln. An der Wand hängt ein Zinnteller. Darauf eingravierte Anerkennung: „Euroshell, 1983, Toni Strohofer, weltweit Nummer 1.“ Was sich auf den Spritverkauf bezog. Und ihn endgültig darin bestätigte, dass es richtig war, einen eigenen Rasthof zu bauen. Wobei größere Selbstzweifel sowieso nicht zu Strohofers primären Charaktereigenschaften gehören.

Mittlerweile nennen viele ihn den „Herrn von Geiselwind“, den „Raststättenkönig vom Steigerwald“ oder „Superlativ-Toni“. Was er nicht gerne hört. Außer Selbstzweifel ist ihm auch Personenkult fremd. Statt mit anbiedernden Beinamen würde er sich lieber so beschrieben wissen, wie er selbst sich sieht: „Ich bin ein hart arbeitender Mann, verdiene gerne Geld und gebe es gerne aus.“ Er macht eine kurze Pause. „Für mein Unternehmen.“

Als Deutschland 1954 im Freudentaumel war über das Wunder von Bern, begann für Strohofer der Ernst des Lebens. Er war 15, sein Vater im Krieg gefallen und nun auch noch sein älterer Bruder bei einem Unfall ums Leben gekommen. Also musste fortan er den Bauernhof der Familie führen. „Ab da musste ich meinen eigenen Weg ebnen.“ Der leichtere wäre wohl gewesen, wie es viele taten, zu den beiden großen Firmen der Region zu gehen, Siemens oder Schäffler. Er machte weiter als Landwirt, gründete mit anderen einen Maschinenpark, füllte nebenher noch Silos und leerte Klärgruben. Heiratete mit zwanzig, war Vater von fünf Kindern mit 27.

Dann begannen 1964 die Bauarbeiten, um die Lücke in der A3 zwischen Würzburg und Nürnberg zu schließen. Quer durch die Felder der Bauern.  Viele waren entsetzt darüber. In Strohofer aber reifte die Überzeugung, dass es eine Chance bedeuten könnte, wenn so viele Menschen aus halb Europa direkt an Geiselwind vorbeifuhren. Das Problem war bloß: wie fahren sie nicht nur vorbei? Strohofer hörte von der Eröffnung der nahen Raststätte Steigerwald. War elektrisiert. 1970 fing er an, den Hof nur noch im Nebenerwerb zu bewirtschaften. Um Tankwart zu werden in der Raststätte. Blieb es ganze zehn Jahre lang. Wechselte ständig die Schichten. Um die Bedürfnisse vor allem der Trucker zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten kennen zu lernen. Erzählte Kollegen und auch seinem Chef, bald werde er selbst einen Rasthof betreiben. „Ja, Toni, mach du mal,“ sagten die ihm. „Ich war und bin Unternehmer, nicht Unterlasser,“ sagt Strohofer heute.

Am 26. Juni 1981 feierte man Einweihung. Wo früher der Landwirt Strohofer Gerste anbaute, verkaufte nun der Rasthofbetreiber Strohofer Sprit und bot seinen Gästen Fernfahrerkost feil: „Fuhrmanns Grillplatte“, „Der Brummtopf“. Dass man nicht direkt angebunden war an die Autobahn wie eine Raststätte, sondern nur über die Ausfahrt Geiselwind, hatte sogar einen entscheidenden Vorteil: man war von beiden Fahrtrichtungen her erreichbar.

„Lange her,“ sagt Strohofer und winkt ab. Dann steigt er wieder in den Wagen. Er möchte noch die Kirche zeigen. Aus den Boxen ertönt nun Tom Astor, deutsche Country-Berühmtheit, und seit langem befreundet mit Strohofer. Der in einem Lied über seinen Rasthof schlichte Zeilen dichtete: „Ich mache gern nen Stopp im Rasthof Geiselwind. Da ist es gemütlich wie zu Haus. Ich mach gern nen Stopp im Rasthof Geiselwind. Die Küche ist sehr gut und der Service lockt und stimmt.“ Das Lied entstand Mitte der Achtziger. Als Geiselwind nach kurzer Zeit schon einen makellosen Ruf hatte unter den Fernfahrern. Das beste Essen, ein Chef, der nicht zu schlafen schien, immer da und immer gut gelaunt war. Dazu CB-Funk im Restaurant, verschiedene Trucker-Stammtische, riesige Parkplätze, auf denen man nicht rangieren musste und jeden Tag um die Mittagszeit auf Kanal 8, dem Truckerkanal, wurde das Mittagsmenü durchgegeben. „Aus Standzeit Nutzzeit machen.“ Das war so ein anderes Motto von Strohofer. Den Truckern bei ihrer harten Arbeit, die nur fast niemand anerkennt, ein bisschen Lebensqualität zu geben.  

Schnell wuchs der Rasthof. Waren gleichzeitig Strohofers Arbeitstage selten kürzer als 16 oder 18 Stunden. „Weil man an der Autobahn nicht stehen bleiben darf.“ Womit er meine, dass auch die Ansprüche der Trucker gestiegen seien mit der Zeit. Und ein bisschen essen und tanken eben nicht reiche, um sie bei Laune zu halten. So wurde man zum größten Rasthof Europas und zum Arbeitgeber von über 200 Menschen. Zur Oase an der A3, wie Geiselwind einmal beschrieben wurde in einer Fernsehreportage.

Einen Gang zurückgeschaltet hat er schon. „Man ist ja keine 65 mehr.“ Zwar steht er noch immer jeden Morgen auf um halb fünf. Mehr als elf, zwölf Stunden täglich arbeitet er aber nicht mehr. Außerdem ist er nur noch jede zweite Woche da. Die andere Hälfte der Zeit verbringt er in Österreich, wo er sich eine Wohnung gemietet hat. Weil sich seine Töchter im Unternehmen entfalten sollen. „Was sie nicht können, wenn ich ständig da bin.“ Dass er sich allerdings schon bald ganz zurückzieht, hält er für nicht sehr wahrscheinlich. „Das ist mein Leben.“ Soll es bleiben, bis er in den Asphalt beiße. Und was anderes habe er sich sowieso nie vorstellen können. „Nur immer wieder was Neues,“ sagt er und lacht.