Waffen

Als der Amoklauf von Winnenden zwei Tage her ist und Trauer noch über dem Land liegt, eröffnet in Nürnberg um 11 Uhr die 36. Ausgabe der IWA, der Internationalen Waffenmesse, einem der "weltweit führenden Treffpunkt der Waffen- und Munitionsbranche".

Am Eingang vor der Messe wehen die Fahnen auf Halbmast. Und drinnen, im Konferenzraum "Shanghai", spricht Olaf Sauer, Präsident des Verbandes der Hersteller von Jagd-, Sportwaffen und Munition vor geladenem Fachpublikum den Angehörigen der Opfer, den Schülern und Lehrern "sein aufrichtiges Beileid aus." Unfassbar und nicht zu begreifen sei diese Tat. Trotzdem müsse es irgendwie weitergehen.
Die "IWA & Outdoor Classics" ist eine Welt der Waffen. 68.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, sechs Hallen, drei davon reserviert für alles, mit dem man schießen kann: Kleinkaliberwaffen, Pistolen, Sturmgewehre. 1132 Aussteller aus 53 Ländern stellen sich dieses Jahr vor, ein "neuer Rekord", wie es heißt. Darunter große Namen der Branche wie Heckler & Koch, Smith & Wesson, Walther oder Glock.
Auch die italienische Firma Beretta, mit 435 Millionen Euro Umsatz, ist vor Ort. Ihre 9-Millimeter-Pistole, Typ 92, Tim Kretschmers Tatwaffe, seit Jahren eine der bestverkauften in Berettas Sortiment, wird präsentiert neben einem Ständer mit Weinflaschen, Chianti Classico Riserva, Jahrgang 2001, aus firmeneigenen Weinbergen. Guter Wein und gute Waffen.

Einige Meter weiter wirbt der Sportwaffenbauer Umarex mit dem Slogan: "Ready to rock the market." Und darunter: "Action, sport, fun." Mit den ausgestellten Gewehren zielen zwei Besucher aufeinander und lachen.
"Branche unter Beschuss"
Die ausgelassene Stimmung an manchen Ständen täuscht nicht über das Ereignis hinweg, "dass die diesjährige IWA überschattet," wie es in der Messezeitung heißt. Und wodurch sich die Branche wieder einmal "unter Beschuss" sieht, diffamiert von einfachen Erklärungsversuchen der Öffentlichkeit, die der Waffe an sich die Hauptschuld zuschiebe.
Klaus Gotzen, ein großer Mann mit kantigem Gesicht, beim Verband der Hersteller von Jagd-, Sportwaffen und Munition (JSM) für Öffentlichkeitsarbeit zuständig, hat viel zu tun. Wie auf der ersten IWA nach dem Amoklauf in Erfurt ist auch in diesem Jahr mehr fachfremde Presse da als sonst, die ihn nicht nach technischen Neuerungen fragt, sondern warum es überhaupt so viele Schusswaffen gibt in Deutschland. Zehn Millionen nach Schätzungen.

"Eigentlich ganz einfach," sagt Gotzen, "weil Deutschland eine alte und sehr verbreitete Kultur der Schützenvereine hat." Fast zwei Millionen Deutsche träfen sich dort, "um sich in der Gemeinschaft miteinander zu messen." Einfach zu erklären auch deshalb, weil es Menschen gäbe, die sich mit ihrer Waffe für das Wohl der Gesellschaft einsetzten. Womit er die rund 320.000 Jäger hierzulande meint. "Für Jäger ist es eine schlichte Notwendigkeit zu schießen," sagt er, da es in Deutschland eine Riesenplage von Wildschweinen gäbe, beispielsweise. "Hatten Sie schon mal einen Wildunfall?"
"Das sind doch richtige Stars." Könne man sich die als potentielle Amokläufer vorstellen?
Und dann seien da noch all die Sportler, die schießen und trotzdem hohe Einschaltquoten erzielen. Vor allem beim Biathlon. Kati Wilhelm, Magdalena Neuner etwa.
"Da helfen keine strengeren Gesetze"
Was hier generell gilt, sagt Gotzen: "Unsere Besucher sind alle besonnene Menschen. Nicht mehr oder weniger vernünftig zumindest als Leute, die nichts mit Waffen am Hut haben." Gotzen möchte nun langsam zum Schluss kommen. Es ist schon so viel geredet und geschrieben worden in den letzten Tagen. Nur das noch möchte er gerne sagen: Fehlverhalten von Menschen gäbe es überall. "Da helfen keine strengeren Gesetze. Im Verkehr gibt es auch Regeln und trotzdem fährt mal jemand zu schnell."
Gegenüber dem italienischen Munitionshersteller Fiocchi, wo blonde Frauen in Röcken mit der Größe von breiten Gürteln "zur neuesten Generation von Geschossen" lächeln, hat "Visier" seinen Stand aufgeschlagen. Die Zeitschrift ist so etwas wie das Zentralorgan der Branche, rund 28.000 Stück Auflage, zu 87 Prozent männliche Leserschaft, Soldaten, Polizisten, Schützen, Leute aus dem Sicherheitsgewerbe, Inhaber von Waffengeschäften. Jene Klientel, die auch auf der IWA anzutreffen ist.

Chefredakteur David Schiller bittet zum Gespräch an einen der vier Tische, auf denen neue und alte Ausgaben von "Visier" ausliegen. Ein Sonderheft darunter: "Maschinengewehre. Geschichte, Taktik und technische Entwicklung." In einem anderen wird ein Sturmgewehr auch schon mal als "Mädchen für alles" beschrieben. Schiller, 57, der mit einer Arbeit über die PLO zum promovierten Politikwissenschaftler avancierte, ist die Waffenlobby. Das sagt er von sich selbst. Der Mann mit der randlosen Brille ist ein wandelndes Lexikon der Waffenkunde. Ein eloquenter Redner, der an die Schusswaffe glaubt. An das Gute an ihr. Als Jude kämpfte er in israelischen Eliteeinheiten, bildete in Deutschland Scharfschützen aus, bevor er die Chefredaktion von "Visier" übernahm.
"Schauen Sie," sagt er, "mit Waffen sind schon viele schlimme Dinge passiert." Nach einer kurzen Pause: "Und viele gute." Die Amerikaner befreiten sich von der Unterjochung der Engländer. Und Hitler? Den hätten die Amerikaner wohl kaum bezwingen können ohne Waffen.
Er wolle, das dürfe man nicht falsch verstehen, nicht der Waffe als Allheilmittel das Wort reden. "Ich bin derletzte, der sagt, man soll sich Waffen im Supermarkt kaufen dürfen." Aber Amokläufe mit einer Verschärfung des Waffenrechts verhindern zu wollen? "Schwachsinn," sagt Schiller und schlägt mit einem Kuli auf den Tisch. "Glauben Sie ernsthaft, ein Krimineller hält sich an Gesetze? Und seien sie noch so scharf?" Das Wesen des Kriminellen sei doch gerade, dass er sich nicht an Recht und Ordnung hält. Außerdem wäre es in Deutschland ein Leichtes, an Waffen zu kommen.
Die Beretta ist nicht böse
Tatsächlich existieren geschätzte 20 Millionen illegale Waffen in Deutschland, doppelt so viele wie legale. Panzerfäuste, Kalaschnikows, Waffen aus dem ehemaligen Ostblock oder aus dem Balkankrieg.

Schiller sieht andere Gründe für solche Taten. Den Menschen hinter, an der Waffe. "Die Waffe an sich ist ja nichts als ein toter Gegenstand." Wenn aber der Falsche daran gerate, ein defizitärer Charakter, der sich als Versager fühle und als Außenseiter, in dem sich Hass zu einer Allmachtsphantasie entwickele: "So einer macht eine Beretta erst böse und keiner kann ihn aufhalten." Wobei so einer auch ein Schwert benutzen könnte, ganz ohne Waffenschein. Schwerter gibt es in Halle 5. Auch Armbrüste und Messer.
Beim Stand von Walther, einem der führenden deutschen Hersteller für Pistolen, widerspricht ein Verkäufer der These, gewissermaßen unerwartet, dass eine Waffe nicht böse ist. "Viele sagen, eine Waffe ist ein Sportgerät. Aber es bleibt eine Waffe. Mit der man töten kann." Mit einem Fußball könne man das nicht.
Zwei Jungs, Anfang 20, streifen bei Heckler & Koch vorbei. Wo die schweren Gerätschaften zu sehen sind. Keine kleinen Sportwaffen. Großkalibrige Gewehre in martialischer Optik. Einer nimmt eines davon in die Hand, MKE T41, 18 Kilo schwer, und ohne Absicht einige Besucher ins Visier, zieht ein paar Mal am Abzug. Sein Bekannter filmt ihn mit der Digitalkamera. Er legt die Waffe wieder zurück.
"Homo homini lupus"

"Ich bin jetzt das dritte Mal hier," sagt er, "interessiert mich schon sehr." H&K vor allem. "Das militärische, das man halt sonst nur im Fernsehen sieht, mal in echt zu sehen, ist schon super." Zu sehen, was möglich sei, diese Präzision, schon faszinierend. Fragt man sie nach Winnenden, sagen beide gleichzeitig: "Furchtbar. "Im Brockhaus steht unter Waffen: "Mittel zur Bekämpfung von Zielen." Verteidigung oder Angriff. Sinnlos oder sinnvoll. Der Grat ist schmal. Im Idealfall bräuchte man sie weder für das eine noch das andere.

"Homo homini lupus", sagte David Schiller noch. "Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf." Wenn sich die Lämmer neben die Löwen legen könnten, dann bräuchte die ganze Welt keine einzige Schusswaffe. Keine Polizei, kein Militär. Niemand. "Aber so ist es nun mal nicht." Am Ausgang der Messe hängt ein Schild: "Termin vormerken! 12. - 15. März 2010: IWA."