Gesellschaft


Schicht im Schacht

Tausendzweihundert Meter unter Bottrop-Kirchhellen ist die Welt in Ordnung an diesem grauen Montagmorgen. Hat alles seinen Platz. Jede Maschine. Jeder Kumpel. Frank Jablonek, 44 Jahre alt, Markennumer 7312, Schalke-Fan („Fußball fürs Herz gibt’s nur auf Schalke“), hat seinen ganz vorne. An der Front. Vier Kilometer entfernt vom Aufzugsschacht. Vor Kohle.

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Basejumper

„A good jump,“ sagt Fabien, gebürtig aus Albertville in den französischen Alpen, einundvierzig Jahre alt, klein, dünn und sehnig, Bart im schmalen Gesicht, wildes, angegrautes Haar, „a good jump is a jump, that you survive.“ Er lacht. „Aber schreib das lieber nicht.“ Fabien ist hier, im Lauterbrunnental, tief eingeschnitten ins Berner Oberland, gelegen zu Füßen von Eiger, Mönch und Jungfrau, Dorado der Basejumper aus aller Welt, von den Guten einer der Besten. Mehr als zweitausend Mal schon sprang er hinab von den Felswänden, die auf einer Länge von sechs Kilometern vom Ort Lauterbrunnen bis nach Stechelberg am Ende des Tales empor ragen. 

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Wo ist Dirk?

Im Leben mancher Menschen gibt es diesen Moment, der alles verändert. Alles trennt in davor und danach. Heidi Stein ist so ein Mensch. Ihr Danach begann vor dreißig Jahren. Es begann am 10. März 1979. Vormittags. Wie so oft kündigte sich der Moment nicht an. Wie so oft war er nicht filmisch spektakulär. Eigentlich war es nur diese eine Frage, die Heidi Stein ihrer sechsjährigen Tochter Silvia stellte, als sie zurückkam vom Spielen an einem kleinen Bach. Auf einem Parkplatz in Rottleberode, nahe Sangerhausen im Harz, damals noch DDR. Nur eine Frage: „Wo ist Dirk?“

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Ramstein

In Ramstein, 15 Kilometer westlich von Kaiserslautern, am Rande eines großen Parkplatzes nahe der US-amerikanischen Air-Base, steht ein verwittertes Holzschild. Darauf ein Pfeil und darüber: „Zur Gedenkstätte Flugtag-Katastrophe 28. Aug. 1988.“


Andermatt

Der kleine Mann mit den großen Plänen stand irgendwann vor ihnen. Er kam aus dem warmen Ägypten in das kalte Dorf am Fuße des Gotthardpasses, das seit einiger Zeit nicht nur des Wetters wegen fröstelte, sondern auch beim Gedanken an seine Zukunft. Die Gemeindehalle war voll besetzt, tausend Menschen waren da, beinahe der ganze Ort. Sie warteten, misstrauisch, was dieser Mann, steinreich, wie man hörte, ihnen zu sagen hatte. 

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Bestatterschule

In ihrer Freizeit reden sie selten über den Tod. Mal abschalten vom Alltag. Schließlich ist hier Programm, täglich von acht bis siebzehn Uhr, was für jeden unausweichlich wird. Unfälle, Krankheiten, die Endlichkeit des Lebens, gewollt oder ungewollt, das sind, nüchtern betrachtet, Ursachen, mit deren Folgen die Azubis dieser Schule später zu tun haben. Das Ende ist für sie der Anfang ihrer Arbeit. 

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Deutsche in der Schweiz

Die Deutschen kommen. Sie sprechen leise, als sie den Raum betreten. Ein wenig schüchtern blicken sie um sich, lächeln, keine Vorurteile bestätigen jetzt, laut reden beispielsweise oder trampelig auftreten, der Ruf ist angekratzt genug, und man möchte ja leben hier und auskömmlich sein, schließlich ist man fremd, Ausländer, Migrant. 

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Dienstbotenheim Oeschberg

Er steht in seinem Zimmer, draußen dunkler Morgen, Walter Michel, klein und gebeugt, im einundsiebzigsten Jahr, Schirmmütze über schütterem Grau, den Blick wie meist nach unten gesenkt, lächelt ein löchriges Gebiss frei und macht knappe Worte, weil man mehr nie verlangte von ihm: „es ist gut hier.“ Hinter sich an der Wand erzählen Bilder sein Leben, das im Oktober 1938 begann und hier zum dritten und wohl letzten Mal Halt macht. 

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Erfinder

Daimler-Benz schrieb ihm. Januar 1985. Sehr geehrter Herr Bernau, wir hatten Ihnen schon 1977 mitgeteilt, dass wir keine Rechte an Ihrem neuen Scheibenwischersystem erwerben möchten. Diese damalige Stellungnahme können wir nur bestätigen. In der Hoffnung, Ihnen den notwendigen Aufschluß zu geben, verbleiben wir mit freundlichem Gruß, Daimler-Benz AG. 

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Stille Nacht

Das Jahr 1816 nannten sie das Jahr ohne Sommer. Ungewöhnlich kalt ist es. Selbst im Juni noch schneit es hinunter bis in Flachland. Am schlimmsten betroffen ist Mitteleuropa. Ernten fallen aus. Millionen leiden an Hunger. Zehntausende sterben. In einer Zeit, in der halb Europa noch unter den Folgen der Kriege ächzt, mit denen Napoleon den Kontinent bis ins Vorjahr überzogen hatte. Eine Zeit für Sehnsucht nach Besserem. 

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Waffen

Als der Amoklauf von Winnenden zwei Tage her ist und Trauer noch über dem Land liegt, eröffnet in Nürnberg um 11 Uhr die 36. Ausgabe der IWA, der Internationalen Waffenmesse, einem der "weltweit führenden Treffpunkt der Waffen- und Munitionsbranche".

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Falco

Auf einmal ist er wieder da. Aufgetaucht aus der Versenkung. Es war still geworden um ihn, obwohl er mal ein Großer war, der größte Popstar, den Österreich je hatte, überhaupt der größte deutschsprachige Popstar. Sechzig Millionen verkaufte Platten und der einzige, der je mit einem deutschsprachigen Lied an die Spitze der amerikanischen Charts kam. Aber Erfolg ist ein Stück Seife, kaum festzuhalten, auch nicht von ihm. Nun, 1998, ist er zurück in den Schlagzeilen, zwölf Jahre nach seinem Welthit. Doch die Meldung, die von ihm an diesem 6. Februar durch die Medien geht, ist keine gute: Falco ist tot.

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